Oder eine aus Teilen zusammengesetzte funktionale Einheiten?

Durch nachfolgende Argumentation soll am Beispiel des Brotes aufgezeigt werden, dass es so etwas, wie materielle Substanzen gibt. Obschon der Diskussionsrahmen ein theologischer ist, ist die Streitfrge eine rein philosophische.

Robert Spaemann schreibt in seinem Communio-Artikel „Substantiation“ (2014, S. 200):

„Gleichwohl macht der Begriff der Transsubstantiation eine irrige philosophische Voraussetzung. Er setzt nämlich voraus, dass Brot eine Substanz ist. «Substanz» meint: Selbststand, Selbstsein. Die Substanz, der selbstseiende Wesenskern eines Dinges, impliziert eine eigene dynamische Verfasstheit, eine eigene teleologische Struktur, aufgrund derer es natürlichen Dingen «um etwas geht», und zwar zuerst und vor allem um ihre eigene Selbstbehauptung. Das Paradigma für eine Substanz war stets das Lebewesen. Einem Pferd geht es um etwas. Es ist irgendwie, ein Pferd zu sein. Es ist nicht irgendwie, ein Auto zu sein. Einem Auto geht es um nichts. […] Was geschieht also in der Wandlung? Es ist gut, sich zu erinnern, dass unser Wort «Substanz» nicht nur die Übersetzung des griechischen Wortes «hypostasis», sondern auch des Wortes «ousia» ist, was auf Deutsch wiederum auch «Wesen» meinen kann. Es gehört zum Wesen des Brotes, essbar, Nahrung zu sein. Nicht als ob es «von sich aus» dahin tendierte, gegessen zu werden. Es gibt kein «von sich aus» des Brotes. Brot ist nicht lebendig und tendiert folglich von sich aus gar nicht. Mit anderen Worten: Brot ist keine Substanz. Wohl gibt es ein «Wesen» des Brotes, aber dieses Wesen existiert nur innerhalb der menschlichen Welt, der Welt von «Bedeutung». Was es innerhalb dieser Welt bedeutet, das ist es. Es hat kein Sein außerhalb derselben.“

Warum Brot eine materielle Substanz ist

Spaemann drückt sich im seinem Artikel „Substantiation“ vage bis mehrdeutig aus. Einerseits scheint er zu meinen, dass es letztendlich keine rein stofflichen Substanzen (Träger, Darunterstände) gäbe, da Substanzen im eigentlichen Sinn nur in dem Bereich des Lebendigen zu finden seien. Andererseits spricht Spaemann von neuen Substanzen, die durch chemische Verbindungen entstehen (Vgl. auch Hilfer, 2017, S. 305). Somit gibt es seiner Meinung nach doch rein stofflichen (nicht lebendige) Substanzen.

Aus kontradiktorisch widersprüchlichen Sachverhalten können keine logisch-validen Konklusionen gezogen werden. Dasselbe gilt für vage und mehrdeutige Prämissen.

Überdies behautet Spaemann naturwissenschaftlich etwas Falsches (Hilfer, 2017, S. 305), wenn er schreibt: „Im Unterschied zu chemischen Verbindungen, durch die neue Substanzen entstehen, ist es [Brot] nur eine Mischung von Ingredienzien“. (S. 200) Brot ist in Wirklichkeit keine reine Mischung von Ingredienzien, sondern wird „durch chemische Verbindungen hervorgebracht“ (Hilfer, ebd.).

Spaemanns meint weiter: „Es gibt keine Brotsubstanz, die in die Substanz des Leibes Christi gewandelt werden könnte, und keinen Vorgang, den wir Transsubstantiation nennen könnten. Brot ist definiert durch eine Reihe von Eigenschaften. Es ist nichts jenseits dieser Eigenschaften.“ (S. 200) Spaemann scheint hier eine empiristische oder eine idealistische Auffassung zu vertreten. Doch auch er kann nicht erklären, warum Brot dann diese bestimmten Eigenschaften besitzt, die es eben besitzt. Darüberhinaus kann er auch nicht erklären, warum es, seiner Auffassung entsprechend, trägerlose Eigenschaften, also Eigenschaften gibt, die keine Eigenschaften von etwas Zugrundeliegendem sind. Wer der Wirklichkeit widerspricht und leugnet, dass es auch im rein Materiellen die grundlegende Unterscheidung zwischen In-sich-Stehendem (Selbstand), Seinsselbständigem und Seinunselbständigem (Eigenschaften) gibt, der wird weder der natürlichen Wirklichkeit, wie z.B. Brot und Wein, noch der übernatürlichen Wirklichkeit, wie z.B. dem eucharistischen Christus gerecht. Außerdem ist es wichtig zu beachten, dass es transzendentale Begriffe, wie z.B. den Wesensbegriff gibt. Diese sind auf unterschiedliche Seinsbereiche und ihre Entitäten anwendbar, also z.B. sowohl auf das Selbstand-Seiende, als auch auf das Nicht-Selbstand-Seiende (Bexten 2017, S. 224).

Es ist zu bedenken, dass Substanzialität etwas nicht rein empirisch oder rein sinnlich Wahrnehmbares ist. Das es so etwas wie Substanzialität dennoch geben muss, wird dann einsichtig, wenn nach dem Seinsgrund von seinsunselbständigen Sein gefragt wird. Jede Substanz besitzt in unterschiedlicher Ausprägung Seinsselbständigkeit bzw. Selbstand, „Für-sich-Seien“, „reale individuelle Ganzheit“ und unreduzierbar zugrundeliegendes Sein (Conrad-Martius, Seifert). Das lebendige Seiende besitzt diese drei wesensnotwendigen Charakteristika der Substanz in viel vollkommnerer Weise als das rein stoffliche / materielle Seiende. Am vollkommensten besitzt im natürlichen Bereich die menschliche Person die drei beschrieben wesensnotwendigen Charakteristika der Substanz.

In einem Blogbeitrag „Spaemann und die ‚Substantiation‘“ fasst der Blogger Spaemanns Argumentation mit folgendem Syllogismus zusammen:

„Sofern es die Philosophie betrifft, lautet das Argument Spaemanns gegen den Begriff der Transsubstantiation folgendermaßen:

  1. Brot ist ein Artefakt
  2. Artefakte sind keine Substanzen
  3. Es kann folglich keine „Trans“substantiation geben.“

Verschiedene Arten von Einheiten

Ein Artefakt ist etwas, das durch menschliche Kunst bzw. Fertigkeit entstanden ist. Diese Zusammenfassung und insbesondere der Syllogismus sind problematisch, da der Begriff „Artefakt“ hier äquivok verwendet wird. Denn als „Artefakte“ können sowohl stoffliche Substanzen, wie z.B. Wein und Brot, als auch funktionale Einheiten, wie z.B. ein Schiff oder Auto, die als funktionale Einheiten eben keine Substanzen sind, bezeichnet werden. Mit Ingarden gilt es vier verschiedene Arten von Einheiten (die tatsächliche Einheit, die wesensgemäße Einheit, die funktionelle Einheit und die harmonische Einheit) zu unterscheiden (1965, S. 40). Brot und Wein sind gemäß dieser Terminologie wesensgemäße Einheiten, die eine Seinsselbständig bzw. einen Selbstand, ein Für-sich-Seien, bzw. eine reale individuelle Ganzheit und ein unreduzierbar zugrundeliegendes Sein besitzen.

Daran kann auch die nachfolgende Behauptung des Bloggers nichts ändern: „Beide [Brot und Wein] sind etwas vom Menschen hergestelltes und haben ihr Sein in Abhängigkeit vom Menschen. Sie haben kein selbständiges Sein, kein „in-sich-Sein“, wodurch eine Substanz definiert ist.“ Die zureichenden Gründe, die eine solche Behauptung stützen würde, bleiben im Blogbeitrag leider unerwähnt. Obzwar Brot und Wein vom Menschen gemachte Dinge sind, besitzen sie dennoch, wie auch andere stoffliche Dinge eine offensichtliche Seinselbständigkeit und damit auch eine Unabhängigkeit vom Menschen, der sie hergestellt hat.

Spaemanns Argumente gegen den Begriff der Transsubstantiation sind also nicht schlüssig.


Bibliographie:

  • Bexten, Raphael E. Was ist menschliches Personsein? - Der Mensch im Spannungsfeld von Personvergessenheit und unverlierbarer ontologischer Würde. Diss. Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, (2017).

  • Hilfer, Rudolf. Transubstantiation. Forum Katholische Theologie, 33, (2017). 304-318.

  • Ingarden, Roman. Formalontologie 1. Teil. Bd. 2, 1. Der Streit um die Existenz der Welt. Tübingen: Niemeyer, (1965).

  • Spaemann, Robert. Substantiation. Zur Ontologie der eucharistischen Wandlung, Internationale Zeitschrift Communio 43 (2014). 199-202.

  • Stöhr, Johannes. (Wesens-)Verwandlung oder Substantiation?: Zur Begrifflichkeit der Eucharistielehre. Theologisches 44, no. 9/10 (2014). 479-484.


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