In der Dialektik

Skizziert an Heideggers späten Denken

Die „siebte Ausfahrt der Philosophie" kann nicht ohne ein inneres Verstehen des dialektischen Systems als „Kulminationspunkt der sechsten Krise der Philosophie" gelingen

Raphael E. Bexten


Metaphysisches Denken


Realistische Phänomenologie als Methode des Philosophierens

  • Bestimmtes Seiendes existiert seinsautonom: ist nicht seinsmäßig von dem, es erkennenden Subjekt abhängig, wie z.B. intentionale Gegenstände

  • Augustinus si fallor, sum Argument ( Einsicht als Erkenntnismethode, die zu unumstößlich wahren synthetischen universellen Urteilen (Urteilsinhalten) führt objektive Wahrheit)

  • Es gibt notwendige / unveränderliche Wensenheiten, Substanzen, ewiges Sein und kontingentes Seiende

  • „Maßnehmen an den maßgebenden Dingen" Wust


Adäquationstheorie der Wahrheit

Metaphysisches Denken

  • veritas est adaequatio intellectus et rei - Entsprechung des erkennenden Verstandes mit der Wirklichkeit - Erkenntniswahrheit

  • Urteilswahrheit: Übereinstimmung des durch den Urteilsinhalt behaupteten Sachverhalt mit den in wirklichkeit bestehendem Sachverhalt

  • Ontologische Wahrheit - ὂν ὡς ἀληθές - veritas rerum

  • Es kann keinen Widerspruch zwischen verschiedenen Wahrheiten geben

„Was wahr ist, ist absolut, ist 'an sich' wahr; dieWahrheit ist identisch Eine, ob sie Menschen oder Unmenschen, Engel oder Götter urteilend erfassen.

Von der Wahrheit dieser idealen Einheit gegenüber der realen Mannigfaltigkeit von Rassen, Individuen und Erlebnissen sprechen die logischen Gesetze und wir alle, wenn wir nicht etwa relativistisch verwirrt sind.

(Edmund Husserl Husserl, Logisch Untersuchungen, 1900. 117f.)


Kritik an Heideggers Philosophie

Heideggers „Wesenswandel der Wahrheit" als

„Kulminationspunkt der sechsten Krise der Philosophie"

Seifert fragt kritisierend:

  • „Ist eine solche These nicht entweder eine Folge der Verwechslung der grundlegend verschiedenen Bedeutungen und Arten [...] oder gar nur ein effekt- hascherischer ... Unsinn? oder gar nur ein effekthascherischer ... Unsinn?" (348f.)

  • „Wie soll sich das Wesen der Wahrheit wandeln können?" (349)

  • „[S]o kümmert er sich in seiner Wahrheitstheorie auch nicht im mindesten um die logischen Widersprüche derselben, so als sei die Frage solcher Widersprüche irrelevant und trivial in einem so revolutionären Denker wie er selber". (349) (Seifert, 2009, 348.)

    „[E]ine der treffendsten Kritiken an Heidegger besteht vielleicht einfach in der Aufschließung des wesentlich Gemeinten." (Ledić. 2009 14.)

    „Ein an den Texten inhaltlich nachvollziehbarer Gedankengang ergibt sich aber erst, wenn Zitate aus den unterschiedlichsten Werken zusammengetragen werden. Deshalb ergibt es keinen Sinn, sich auf eine oder nur einige wenige Schriften Heideggers zu beschränken. Wer Heideggers zentrale Begriffe aufschließen möchte, der muß dazu bereit sein, gleichsam ein Puzzle zusammenzusetzen, dessen Stücke nicht in einer Schachtel beisammen liegen. " (Ledić. 2009 13f.)


Dialektisches Denken

à la Heidegger (Thesen)

  • Metaphysisches Denken ist Seinsvergessenheit - Heidegger: „Die Seinsvergessenheit ist die Vergessenheit des Unterschiedes des Seins zum Seienden." (GA 5, 364; Vgl. Ledić 32)

➡ Umdeutung der Metaphysik und all ihrer Inhalte: Sein und Seiendes wird als dialektischverschränkte Widerspruchseinheit als Ereignis / Prozess begriffen

  • Diese kommt durch das jeweils andere zu sich selbst - ist als Andere die Andersheit seiner Selbst.

  • „Geschichtlichkeit des Seins" / „Seinsverlassenheit" / „Ontologische Differenz" (Vgl. Ledić 12): „Das Zugleich von Identität und Differenz im Verhältnis von Sein und Seienden" (Bangerth 5)

  • Das Sein und mit ihm alles andere, die Wahrheit ist im ständigen Wandel begriffen

„Immer noch auf die Differenz blickend und sie doch schon durch den Schritt zurück in das zu-Denkende entlassend, können wir sagen: Sein des Seienden heißt: Sein, welches das Seiende ist."


Heidegger. Identität und Differenz, GA 11, 70f; Vgl. Ledić 117.

„Sie [Philosophie / Metaphysik] denkt vom Seienden aus auf dieses zu, im Durch-gang durch einen Hinblick auf das Sein. Denn im Lichte des Seins steht schon jeder Ausgang vom Seienden und jede Rückkehr zu ihm. [...] Das sagt: die Wahrheit des Seins als die Lichtung selber bleibt der Metaphysik verborgen. [...] Die Lichtung selber aber ist das Sein."

Heidegger. GA 9, 331f. Vgl. Ledić 63.


Dialektisches Wahrheitsverständnis

Heideggerinterpretation nach Ledić

  • Für Heidegger ist das „Wesen des Seins" „Unverborgenheit" er konfundiert

„Sein als Unverborgenheit, Lichtung und Wahrheit" (Ledić, 63)

➡ „Da Wahrheit und Unverborgenheit für Heidegger nichts anderes sind als der Lichtungsprozess des Seins, identifiziert er auch die Wahrheit mit dem

»Wesen«" (Ledić, 67)

Heidegger: „Die Frage nach dem Wesen der Wahrheit findet ihre Antwort in dem Satz: das Wesen der Wahrheit ist die Wahrheit des Wesens." (GA 9, 201; Vgl.

Ledić 105.)

➡ Das ist eine „versteckte" Wurzeltautologie in Heideggers Philosophie (Ledić, 106)

➡ „Wahrheit" = „Unverborgenheit" = „rein prozessualer Selbstvollzug des Seins selbst" = „Wesen" = „Sein" (Ledić, 106)

Es „muß durchaus anerkannt werden, daß die Tautologie die einzige Möglichkeit ist, das zu denken, was die Dialektik nur verschleiern kann" [„das Sein des Seienden" Ledić 111].


Heidegger. GA 15, 400. Vgl. Ledić 111.

„Somit entpuppt sich der tautologische Charakter von Heideggers Philososphie als notwendige Folge seiner Ontologie, in der alles nichts weiter ist als eine Selbstauseinanderlegung ein und desselben und ein und dasselbe nichts weiter ist als seine eigene Selbstauseinanderlegung."


Heidegger. GA 15, 400. Vgl. Ledić 111.

„Zugespitzt könnte man sagen, dass Heideggers Wahrheitsbegriff zusätzlich die Funktion und Bedeutung hat, das Verhältnis von Sein und Seiendem in der ontologischen Differenz gerade nicht als Differenz zu denken. [...] An dieser Stelle führt Heidegger explizit den Begriff des ›Seyns‹ als Einheit der Differenz, ›als den waltenden Unterschied zwischen Sein und Seiendem‹ ein. Der Begriff »Walten« bedeutet, wie das prädikative »wesen« konstitutiv prozessual bedingt und verfasst zu sein." (Jahraus, Oliver. Martin Heidegger. Eine Einführung. - Stuttgart: Reclam 2004: 207. zit.n. Ledić 129.)

„Und die Einheit der »Unterschiedenen« ist die Wahrheit »des« Seyns selbst, in die je das Seiende entborgen hinein »west«." (Heidegger. GA 69, 22. Vgl. Ledić 129.)


Bibliographie

  • Bernd, Bangerth (2000). Identität und Differenz. (unveröffentlichter Eassy).

  • Heidegger, Martin (1981-2005) Gesamtausgabe [GA] der Werke Heideggers ---- Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann.

  • Ledic, Juraj-D (2009). Heideggers 'Sach-Verhalt' und Sachverhalte an sich: Studien zur Grundlegung einer kritischen Auseinandersetzung mit Heideggers Seinsbegri. Frankfurt: Ontos-Verlag.

  • Seifert, Josef (2009). Der Streit um die Wahrheit: Wahrheit und Wahrheitstheorien. Bd. 2. De Veritate - über die Wahrheit. Frankfurt: Ontos. Kap. 8.


Quelle

  • Vortrag - Online - 02.02.2021.

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