Was sind die wesentlichen Merkmale des empirisch-funktionalistischen Personbegriffs?

Einen etwas anderen Personbegriff als Schwarz und Spaemann hat z. B. John Locke (1632-1704). Seine Auffassung über die Person beschreibt er in seinem Buch An Essay Concerning Human Understanding’. Lockes Personbegriff(Pb 3) kann wie folgt zusammengefasst werden: Jedes Seiende ist eine Person, das Selbstbewusstsein und Vernunft aktualiter tätigt bzw. früher anderswo getätigt hat und sich daran erinnert. Da das denkende Seiende sich an frühere Hand- lungen des Selbst und an das früher Gedachte erinnert, hat es auch personale diachrone Identität (Persistenz) und unterscheidet sich durch sein eigenes Den- ken von anderem denkenden Seienden. Es kann also nach Locke Menschen geben, die keine Personen sind, weil sie nicht, nicht mehr oder noch nicht denken können. Überdies scheint es nach Lockes Personauffassung auch möglicherweise Seiende geben zu können, die keine Menschen aber Personen sind, weil sie denken. Lockes Personbegriff ist also mit der in diesem Teilkapitel erarbeiteten basalen Relation fünf(bR5; Vgl. Abb. 3.7.) identisch. D. h.John Locke vertritt einen empirisch-funktionalistischen Personbegriff. Abb. 4.5. verdeutlicht die denkerischen Konsequenzen dieser Auffassung. Nach Lockes Personbegriffkann es also menschliche Wesen geben, die „potentielle Personen“ sind. Solche „potentielle Personen“ sind also keine Personen und besitzen deswegen auch keine personalseinshafte Würde, da es Wesen sind, die Person werden können oder im Begriff sind Person zu werden. Folglich ist gemäß Lockes Personbegriff (Pb 3) Personverhalten, in welcher Form auch immer, personkonstitutiv. Überdies kann gemäß dem empirisch-funktionalistischen Personbegriff Personsein nur rein empirisch erkannt werden. Gemäß dieser Personauffassung kann also eine Person entweder dann erkannt werden, wenn aktuiertes Personverhalten aktuell vorzufinden ist oder das überaktuelle Vermögen Personverhalten zu aktuieren vorhanden ist oder aufgrund einer Vermutung, die aufder biologischen Spezieszugehörigkeit basiert. Auch David Wiggins greift auf Lockes Personbegriff zurück und modifiziert bzw. verbessert ihn (Pb 4), indem er u. a. die Vermutung, dass ein bestimmtes Wesen, das physisch Ähnlichkeiten etc. mit normal erwachsenen Wesen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten, in diesem Fall mit erwach- senen menschlichen Personen, aufweist, höchstwahrscheinlich zur selben biologischen Spezies gehört. Wiggins Personbegriff ist also auch mit der basalen Relation fünf (bR5; Vgl. Abb. 3.7.) identisch und gehört damit auch zur Familie der empirisch- funktionalistischen Personbegriffe. Anhand Lockes Personbegriffund den Versuchen, diesen zu verbessern, wird ein grundlegendes Problem des empirisch-funktionalistischen Personbegriffs deutlich. Der empirisch-funktionalistische Personbegriffe ist also wesentlich durch einen materialistischen Aktualismus geprägt.' D. h. die Frage nach der diachronalen Identität der menschlichen Person,' also die Frage nach dem, was an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten eigentlich die „eine menschliche Person“'6' ausmacht, wird mangels des Substanzseins der Person, also mangels des zu Grunde liegenden Seins bzw. substanzstiftenden Lebensprinzips, zum Problem, das, wie auch immer, philosophisch gelöst werden will.'62 Das empirisch-funktionalistische Personverständnis führt also, konsequent zu Ende gedacht, zur „ontologischen Aufspaltung“ des Menschen. Es wird gemäß dem empirisch-funktionalistischen Denkparadigma zwischen dem rein biologisch lebenden Menschen und den personal lebenden Menschen unterschieden. Locke schreibt deshalb:

„For, since consciousness always accompanies thinking, and it is that which makes every one to be what he calls seif, and thereby distinguishes himself from all other thinking things, in this alone consists personal identity“ (Locke, 1690, II. §9)

Kritik am Empirisch-funktionalistischen Personbegriff

Locke schreibt deshalb:

„For, since consciousness always accompanies thinking, and it is that which makes every one to be what he calls seif, and thereby distinguishes himself from all other thinking things, in this alone consists personal identity“ (Locke, 1690, II. §9)

Dieses Zitat Lockes zeigt die Grundrichtung und „Kosten“ auf, die die Vertreter des empirisch-funktionalistische Personbegriffs aufgrund der Aufgabe der Substantialität der Person zu gehen und zu zahlen bereit sind. Die Person wird, gemäß dem empirisch-funktionalistischen Paradigma, z. B. durch das sich an ehemals Gedachte und somit vergangene Bewusstseinsinhalte aktuell erinnernde Bewusstsein konstituiert. Hierbei wird allerdings das Bewusstsein von nichts getragen bzw. nichts ist das Identitäts- oder Einheitsprinzip, als die zeitlichen Sukzession der Gedankeninhalte innerhalb des aktuell denkenden Selbstbewus- steins, das aufgrund der zeitlichen Sukzession der Erinnerungen diese Einheit / Identität der Person selbst kreiert. Das empirisch-funktionalistische Personverständnis führt also, mit Spaemann gesprochen, zu einem folgenreichen „Bruch mit dem klassischen Personverständnis“. Der ‘Bruch mit dem klassischen Personverständnis“ kann, als eine Form der Personvergessenheit bezeichnet werden, die erstens, mit den Worten Spaemanns, zur „Atomisierung der Bewegung und damit auch der Idee des Lebens und der Idee des Denkens“ führt und zweitens zur Aufgabe des potentiell Seienden, des ontologisch Möglichen, das in die Wirklichkeit, in den Akt überführt werden kann. Dieser Erklärungsversuch, durch den die Nichtexistenz eines zugrundeliegenden Seins der Person kompensiert werden soll, scheint inkonsistent zu sein, da eine Erinnerung immer eines zugrundeliegenen Seins (Subjektes) wesensnotwendig bedarf, das sich an etwas erinnert. Die Erinnerung des Selbstbewusstseins an etwas kann somit nicht einheitsstiftend, nicht personkonstitutiv sein, da jede Erinnerung schon immer wesensnotwendig die Person voraussetzt, die sich an etwas erinnern kann, weil sie Identität, ein einheitliches Sein und somit personales Leben besitzt.

Doch innerhalb dieser Untersuchung steht nicht die Frage, ob ein bestimmter Personbegriff mit einem anderen Personbegriff oder einer anderen philosophischen Denkrichtung bricht oder nicht im Vordergrund, vielmehr soll versucht werden, eine Antwort auf die Frage nach dem adäquaten Personverständnis zu finden. Diese Antwort kann freilich mit einem bestimmten Personbegriff, den z. B. Spaemann als „klassisch“ bezeichnet, zusammen fallen. Doch dieser Sachverhalt müsste eigenständig dargelegt und begründet werden.

Als letzter Personbegriff (Pb 5) des Teilkapitels 3.3.5. soll nun der Personbegriff Derek Parfits vorgestellt und kurz besprochen werden. Parfit vertritt einen Personbegriff, der im Vergleich zum klassischen / metaphysichen bzw. dem hier verteidigten relational-substanzontologischen Personbegriff (vgl. Abb. 3.9.) noch einen größeren geistigen Bruch vollzieht als der lock’sche Personbegriff, an den sich Parfits Personbegriff anlehnt. Aber bei diesen lock’schen Anlehnungen zum Wesen der Person bleibt Parfit nicht stehen. Oder besser ausgedrückt, er zieht aus dieser Persondefinition die implizierten theoretischen Konsequenzen. Wenn die Person sich durch Selbstbewusstsein und überaktuelles (diachronales) Identitätsbewusstsein konstituiert, so gibt es seiner Meinung nach so etwas wie einen ontologischen überaktuellen Bewusstseinsträger überhaupt nicht. „Personal identity is not what matters.“ D. h. so etwas, wie das in dieser Arbeit verteidigte, relationale und substantielle Personsein gibt es nach Parfits Meinung überhaupt nicht. Demzufolge ist seiner Meinung nach die Person und auch die Identität der Person kein Urphänomen, sondern höchstens ein zeitweise nicht determiniertes Epiphänomen der Materie oder der Psyche etc. So wird in letz- ter Konsequenz für Parfit das menschliche Seiende, das „Person“ genannt wird, überflüssig und nichtig.’' Person / Personsein ist somit für Parfit nur noch ein intentionaler Gegenstand. Parfit resümiert deshalb:

„We could therefore describe a person’s life in an imper- sonal way […] persons do exist. But they exist only in the way in which nations exist. Persons are not, as we mistakenly believe, fundamental.“ (Parfit, 1987, S. 445)

Parfits Personbegriff ist folglich mit einem Spezialfall der basalen Relation fünf(bR5; Vgl. Abb. 3.7.) identisch, da er davon ausgeht, das ein und dieselbe Person keine determinierte Identität hat, sondern nur eine vage (unbestimmte), heute ist die menschliche Person Jemand, der sie morgen nicht mehr ist. D. h. dieser Jemand, der aktuell existiert, obwohl die menschliche Person der gleiche Mensch geblieben ist, kann z. B. morgen eine vollkommen andere menschliche Person sein. Diese und dgl. Ansichten über das Sein der Person können als ein dialektisches Personverständnis aufgefasst und bezeichnet werden.


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